2023-04-19 Canigó, Abstieg ins Vallespir

Auf zum langen Abstieg am Kleinen Canigó vorbei und über die gesamte Ostkette nach Amélie-les-Bains (30km + 1200Hm – 3100Hm, B1 mit B2 im Aufstieg zum Puig del Roc Negre)!

Rückblende auf die Nacht: Die grosse Prüfung beginnt kurz nach neun Uhr, als ich mich gerade in die Schlafgemächer im oberen Stock zurückziehen will, die ich übrigens nach meiner Räucheraktion kräftig gelüftet habe. Eine Horde junger Franzosen bricht herein und steht ausgezehrt im Laternenschein. Keine Ahnung, welche Gefahren die drei überstanden haben — und auch keine Ahnung, welches Abenteuer mir noch bevorsteht. Die jungen Männer scheinen durchaus wohlauf, und den lauten Gesprächen nach zu urteilen, die noch lange an mein Ohr dringen, erholen sie sich auch schnell wieder. Als sie sich später dann nach oben begeben, geht das natürlich nicht ohne hellen Lampenschein, lautes Zurufen und Umplazieren der Matratzen. Die Türe bleibt offen, und mit der Wärme dringt auch ätzender Qualm in den Schlafraum.

Ich bin nicht empfindlich, aber mit sechs Leuten im Raum und Verbrennungsgasen kurz vor der Russbildung wird der Sauerstoff einfach knapp. Wohlweislich habe ich einen Schlafplatz neben dem Fenster gewählt. Als ich es jedoch wage, es zu öffnen, wird es augenblicklich wieder geschlossen. Ich öffne es erneut und liefere mir anschliessend ein Wortgefecht mit einem der Franzmänner. Als sich daraufhin einer erhebt, um im Erdgeschoss den Ofen erneut zum qualmen zu bringen, gebe ich auf.

Der Zufall will es, dass ich gerade die komplizierte Bestellung eines Schlafsacks am laufen habe und im letzten e-Mail angekündigt hatte, dass ich mich auf die Nacht in der warmen Hütte freue. Die freundliche Nachfrage, ob ich eine gute Nacht beim Ofen verbracht hätte, beantwortete ich anderntags folgendermassen: “Not that I expect you to take any particular interest in my nights but since the question is in a way at the heart of the sleeping bag business and since I have had all day on my own to think about a response and nobody around to let my rant out, here it goes.

The night by the stove does rank among the top ten among my very worst nights in the mountains, indeed! I have not had a deeper smoke ever, not even in my days of youth when manlihood could be proven by smoking the unfiltered Gauloise Bleu cigarettes. The stove was not even particulary broken! Rather some Frenchmen arrived late at night and followed their basic instinct that no good night can be spent in a mountain hut without a good fire and where there is fire there is smoke, the more the better. The oven was roaring and smoking like an exhaust pipe while the windows had to be kept closed because of the “unbearable” cold.

Had I had a Delta Race 200 K sleeping bag, I would have handed it out any time (or at least I could have stuffed it down their throats). Even better, i could have slept outside of the hut. We all love the French for their culture and everything and I do sincerely hope that they will eventually get acquainted with your excellent products for keeping warm. Myself, I was too smoke-stoned to put up any advertisement in the morning and simply glad to leave the joint.”

Am Morgen hocken zwei vor dem Ofen und machen einen erbärmlichen Eindruck. Man könnte meinen, sie seien nur mit letzten Entbehrungen einer weissen Hölle entronnen — in einer warmen Hütte. Das Gespräch verläuft entsprechend barsch, und ich bin nichts als froh, als sich die Helden verabschieden. Ich reisse die Fenster auf und mache mich zwanzig Minuten später auch auf den Weg. Es ist mir ebenso unverständlich wie egal, weshalb das Heldenhäuflein dann immer noch laut debattierend beim Wegweiser steht.

Der Aufstieg entlang des NNE-Grats des Pic Bas du Canigou ist unten in der Ostflanke wieder schneebedeckt, trägt jedoch am frühen Morgen sehr gut. Endlich wird der Blick aufs Mittelmeer frei, und überhaupt ist der Aufstieg rundum beschaulich. Der Canigó leuchtet in der Morgensonne, und es herrscht eitel Sonnenschein. Nur die Aussicht, über den verschneiten Nordgrat auf den Puig del Roc Negre zu steigen, umwölkt meine Gedanken. Mit Trailschuhen auf einem Biancograt rumzuspulen, entspricht nicht gerade meiner Idealvorstellung. Deshalb entschliesse ich mich zum Abstieg in die Gorgs du Cady, um dann in die Porteille de Lecca und von dort über den Westgrat auf den Gipfel hochzusteigen.

Auch der relative harmlose Aufstieg ins Pässchen hinauf ist auf der harten Schneedecke nicht ohne. Erneut beschaffe ich mir einen improvisierten Pickel zum Stufenschlagen und steige wohlbehalten in der Sonne aus. Die Kraxelei auf dem Grat ist von erster Güte, und wäre da nicht der elend lange Abstieg und die schlaflose Nacht, wünschte ich mir, er würde nicht mehr aufhören. Von nahem betrachtet, erweist sich der Firngrat als deutlich weniger ausgeprägt als er den Anschein machte, dennoch halte ich meinen Entscheid für richtig. Das Gelände ist dort durchaus steil, und wer weiss, welche Überraschungen es versteckt.

Kurze Zeit später türmen sich Wolken, und der Himmel bedeckt sich zusehends. Immerhin schwitze ich dadurch weniger als befürchtet. Der Weg ist lieblich, vor allem aber weit. Beim Col de la Cirère könnte man absteigen und auf ein Auto beim Parkplatz des Refuge de Batère hoffen, die sichere Variante führt jedoch noch 10 Kilometer und knapp 1500 Hm weiter bis Amélie-les-Bains-Palalda. Die letzten Stunden werden zunehmend heisser, und ich bin froh, endlich das hübsche Örtchen zu erreichen. Dass ausgerechnet zu meinen Ehren gleich nebenan Salutschüsse in der Schiessanlage abgegeben werden, wäre wirklich nicht nötig gewesen. Vielmehr hatte ich mir erhofft, eine Mitfahrgelegenheit zu erhalten, aber das erweist sich als völlig utopisch. Ein Mensch ohne Auto kann nur entweder ein Verbrecher oder ein Lump, vermutlich wohl beides zusammen sein. Man muss die Franzosen einfach gern haben!


Hoi! Dein Interesse freut mich sehr, und ich würde mich ebenso sehr über einen kurzen Kommentar freuen. Ich investiere viel Zeit und Aufwand in diese Site und frage mich manchmal, ob die Inhalte überhaupt gelesen werden. Kommentare gebe ich manuell frei mit Angabe der Initialen (auf Wunsch auch anonym), und ich veröffentliche niemals Kontaktangaben. Diese ganze Site ist vollständig werbefrei, und es werden keinerlei Personendaten aufgezeichnet, die über das rein technisch Notwendige hinausgehen würde. — Danke fürs Vertrauen und viele schöne Touren! Stefan

3 Antworten zu „2023-04-19 Canigó, Abstieg ins Vallespir“

  1. Frank

    Wunderbar geschrieben, Stefan! Ich hoffe, Du verzeihst, dass ich trotz deiner Misere laut lachen musste 🙂

    1. Diesen Kommentar habe ich glatt übersehen, entschuldige bitte! — Und vielen Dank für das Lob! Ich hatte den ganzen Tag über Zeit, die Nacht zu verarbeiten und mir die passenden Worte zurecht zu legen.

  2. […] Paar aus München nahm mich sogar bis Ljubljana mit. — In Erinnerung an frustrierende Stunden fruchtlosen Autostopps muss ich den Erfolg auf die netten Leute abschieben, denn ich selber habe mich kaum innert Kürze […]

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