Oder auch nicht. Weder den einen noch den anderen Gipfel haben wir erreicht. Trotzdem bot der Tag ein sehr eindrückliches Erlebnis: Wärme und sogar Regentropfen beim Start in Schattdorf, nebelverhangener Blindflug am Skilift auf dem Haldi, wo wir just über der Nebelgrenze anfellen. Kalte, eher dünne Schneedecke mit einem Schäumchen Neuschnee im Aufstieg zum Butzenboden. Über den Graten mächtige Schneefahnen und zunehmend starker Wind auf dem Weiterweg zum Bälmeter Grätli. Der steile Aufstieg mit Triebschnee zugekleistert, sodass wir mit Abstand gehen. Oben packt uns ein Föhnsturm mit aller Kraft, sodass es nicht in Frage kommt, den Kilometer Grat zum Bälmeten hinüber zu begehen. Stattdessen Felle weg, und schnell abfahren. Schauen, dass nichts davongeweht wird, was allen gelingt ausser mir selber. (:
Dem Aufstieg durch den Stich sehe ich eher skeptisch entgegen. Der Sturm rüttelt an der Stimmung ebenso sehr wie an den Kleidern und erzeugt ein Expeditionsgefühl, welches noch verstärkt wird dadurch, dass wir weit herum allein unterwegs sein. Aus der Ferne lässt sich jedoch wenig Konkretes erkennen, sodass es nicht dumm ist, die Sache aus der Nähe anzuschauen. Vor allem einmal weg aus diesem Wind! Umkehren und wieder hochsteigen können wir allemal. Mit jedem Meter unter dem Grat tauchen wir in eine fast unwirkliche Zauberlandschaft ein. Die Sonne leuchtet den Felsenkessel von Lang Büel aus und lässt die Schneekristalle glitzern. Der Sturmwind ist schon fast wieder vergessen, als wir uns für eine Rast niederlassen.
Selbstverständlich auch hier Triebschnee ringsum, mag er noch so unberührt daliegen. Doch wie sieht es mit der Stabilität aus? Wie hat die Westwindlage der vergangenen Tage hier gewirkt? An einer Böschung führe ich einen Säulentest (ECTS) durch und staune selber über das Resultat. Der einzige Bruch, der zu befürchten ist, liegt in meinem Handgelenk. So sehr ich auch auf das Schaufelblatt hämmere, es rutscht rein gar nichts. Die obersten beiden Schichten sind je ca. einen halben Meter dick, und die gesamte Schneedecke etwa 3.5m! Anders als in den schneeärmeren Gebieten (Graubünden, Alpensüdhang), wo in den letzten Tagen teilweise grosse Lawinen ausgelöst wurden, weist die Schneedecke hier keine deutlichen Schwachschichten auf. To go or not to go?
Wenn Leute schreiben, sie seien “vorsichtig weitergegangen”, lese ich: “Ich hatte keine Ahnung, ob es hält, aber im Nachhinein ist alles gut gegangen.” Nur dass diejenigen mit gegenteiliger Erfahrung sich weniger häufig zu Wort melden. Abgesehen von der schon im Voraus bekannten Steilheit des Geländes sehe ich jedoch keine Indizien, die gegen eine Fortsetzung sprechen würden. Im Gegenteil stufe ich die konkrete Lawinengefahr weniger hoch ein, als das Bulletin angibt. (Anderntags wird sie tatsächlich auch reduziert.) Schliesslich gehe ich voraus, um die Spur zu legen, und grabe Wendeplattformen, denn im knietiefen Triebschneepulver werden Spitzkehren zur Herausforderung. Ausserdem würde ich beim Graben auch spüren, falls sich lokal etwas in der Schneedecke verändern sollte. Nach 50 Höhenmetern kann ich links ins flachere Gelände rüberziehen. Mit grossem Abstand arbeitet sich die Gruppe auf meiner “Märmelibahn” hoch. Oben geht es einfacher zum Pässlein hoch.
Auf den Gipfel des Hoch Fulen wäre es nicht mehr weit, jedoch hat der ganze Aufstieg viel mehr Zeit gekostet als geplant. Ausserdem wirbeln erneut die Schneefahnen über den Grat. Also machen wir uns auf zur Abfahrt durchs Griesstal. Meine Hoffnung auf Pulverschnee erfüllt sich nur sehr lokal (aber immerhin!). Zeitweise überrollt uns eine Schneesturmwalze, sodass sich das Expeditionsgefühl wieder einstellt. Bis auf zwei, die vom Hoch Fulen heruntergefahren kommen, sind wir immer noch allein. Im Flösch ziehe ich so weit rechts hinüber unters Wiss Stöckli, wie es nur geht, in der Hoffnung, dass der Triebschnee dort locker abgelagert worden sei. Teilweise ja, aber stellenweise hat der Wind die Oberfläche auch platt gedrückt. Es ist eine rechte Herausforderung, die gut fahrbaren Bereiche zu erkennen, und die Skis mit Geduld um die Kurven zu steuern. Zur Brunnialp hinunter liegt der Schnee schliesslich locker, und auf der Langlauf- und Schlittelpiste geht es hinunter in Richtung Unterschächen, wo uns dicker Nebel wieder einhüllt. Das Ansteuern des Hotels Alpina braucht schon fast ein GPS, und umso mehr erfreuen wir uns der Wärme in der Gaststube.
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