Zweithöchster Gipfel Sloweniens am dritten Tag und am Abend noch zum Triglav hinüber. Von der Griva-Hütte via Bovška-Sattel und der Scharte unter der Dolkova Špica zur Škarlatica. Ganzes wieder zurück und hinüber zum Stenar. Von dort via Gamsovec zur Luknja hinunter und über den Plemenice-Grat zum westlichen Triglav-Plateau hoch. Am Südgipfel Rjavec des Triglav-Massivs vorbei zur Planika-Hütte und schliesslich zur Kredarica-Hütte hoch. Ein laaanger Tag mit zahlreichen formidablen Anstiegen von über 25km und mehr als 3’000Hm.
Frühstück gibt es heute erst, wenn ich Wasser gefunden habe, und das gibt es entweder 100Hm tiefer am unteren See oder weiter oben. Der See liegt noch im Schatten, und so steige ich netto hundert Höhenmeter mit etwa gleich viel zusätzlichem Auf und Ab zum oberen See auf. Zmörgele in der Sonne, Wasser füllen und dann los! Heute wird ein langer Tag.
Der Aufstieg zum Bovška-Sattel in der kühlen Morgenluft ist erfrischend, und dahinter verstaue ich den Rucksack hinter Steinen. Erleichtert und beschwingt düse ich rund 200Hm hinunter, bevor es ca. 1km horizontal weiter geht. Von dort geht es Richtung Dolkova Špica hoch, dessen Südflanke eine ungeheure Geröllhalde ist. Der Übergang Rdeča Škrbina unter dem Gipfel vermittelt einen Zugang ins südwestliche Amphitheater der Škrlatica. War der Zustieg ein mühsames Wühlen durchs Geröll, ist der Abstieg hingegen ein heikles Balancieren über steilen Extremschottter. Das Gelände ist so steil, dass kein Geröll mehr hält, und der Schotteruntergrund ist mit feuchtem Lehm zusammengepappt. Knapp hundert Höhenmeter sind im Tanz über rohe Eier zu bewältigen. Darunter hält sich das Kies wieder tapfer auf den Hängen, und so düse ich dem Talgrund entgegen und drüben zum Einstieg hoch.
Der Steig ist, wie immer, bestens markiert und abgesichert. Er quert die Flanke in einer weiten Schleife, bevor man in ziemlich direkter Linie zum Gipfel hochsteigt. Die technischen Schwierigkeiten sind durchaus ansprechend, jedoch nirgends schwierig. Der Fels ist über weite Strecken wunderbar fest, und auch im geneigten Gelände ist der Untergrund nirgends schotterig. Im oberen Teil liegt etwas mehr Geröll herum, aber bei den wenigen Leuten, die ich heute antreffe, ist auch das kein Problem. Die Aussicht vom Gipfel ist in alle Richtungen prächtig.
Prächtig insbesondere der Blick zum Triglav in der nahen Ferne, im Vergleich zur Ferne des Grossglockners. Lokal betrachtet ist eine beträchtliche Distanz zu überwinden, und die Lauflinie weicht erheblich von der Luftlinie ab. Also los! Der Rückweg ist bekannt, und mit Sack und Pack geht es hinüber zum Stenar. Erneutes Depot, kurz zum Gipfel hoch und wieder runter — nettes “peak bagging”.
Vor mir liegt nun der Bovški Gamsovec, über den ich mir kein genaues Bild machen kann. Der Aufstieg scheint logisch, aber ist er auch einfach? Meine Erfahrungen mahnen zur Vorsicht. Am Vorabend hatte mich das Paar vor dem Aufstieg zum Triglav-Plateau gewarnt. Der sei sehr ernsthaft. Also hingehen, schauen und entscheiden. Der Aufstieg zum Gamsovec ist dann schon einmal nicht trivial. Zwar nicht wirklich schwierig, aber überraschend ausgesetzt mit einigen Kraxelstellen. Wie wird wohl der Abstieg sein? — Erstaunlich gutmütige Graslandschaft, jedoch durchgehend steil und deshalb mit angezogener Handbremse zu begehen.
Endlich in der Luknja-Lücke. Es ist schon 17:30, aber das Wetter ist nach wie vor perfekt. Noch 1.5 Stunden bis Sonnenuntergang. Das sollte reichen, um den technisch anspruchsvollen Teil des Aufstiegs hinter mich zu bringen. Und danach sieht das Gelände gutmütig aus, sodass ich die Umrundung des Triglavs auch im Schein der Strirnlampe absolvieren könnte. Also los!
Der Weg über die Kante legt gleich recht kompromisslos los, und ich bin froh, dass die Steine fest sind. Der Aufstieg ist wirklich ernsthaft, und die Absicherung überhaupt nicht übertrieben, eher im Gegenteil. Ich arbeite mich hochkonzentriert empor und spüre förmlich die Schattengrenze unter mir hochkriechen. Im goldenen Abendlicht steht da eine Gams auf einem Felsvorsprung über dem Tal. Eine perfektere Idylle kann man sich kaum vorstellen. Ich hoffe nur, dass sie nicht Steine auf mich herunterlässt, und spute mich. Da springt unvermittelt ein Kitz heran, um sich zu säugen. Welch ein berührender Moment!
Der Rest des Aufstiegs ist ein Wettlauf gegen die Sonnenzeit. Pünktlich mit Einbruch der Dunkelheit lasse ich den Grat hinter mir und suche meinen Weg zum Planja-Plateau hoch. Von Wanderweg keine Spur, aber immerhin noch gut markiert. In diesem Karstgelände wäre ich sonst verloren. — Ich verstehe immer noch nicht, wie ein Kartenbild derart täuschen mag. In der Realität kurve ich über Felsrücken um Dolinen herum, ähnlich wie um Gletscherspalten. Erst weit oben erreiche ich die Schotterebene mit einem gut erkennbaren Weg. Allerdings währt die Freude nur kurz, den schon wenig unterhalb des Sattels verlasse ich den Pfad weglos in Richtung Südost.
Ich folge der Westflanke des Rjavec und stosse ab und zu tatsächlich auf so etwas wie eine Pfadspur. Allerdings ist es in der Dunkelheit fast nicht möglich, ihr zu folgen, und so muss ich mich auf mein Gespür verlassen. Und das ist gefordert! Wie im Nachhinein zu befürchten, kämpfe ich mich über einen steilen Moränenschotterhang, der mit Dolinen und Felsrippen durchsetzt ist. Nichts von harmlosem Gehgelände, sondern Schotter im labilen Gleichgewicht. Ab und zu eine langgezogene Quermulde mit riesigen Felsblöcken, danach wieder ein tiefer Einschnitt. Endlich stosse ich auf einen ganz wenig weniger steilen Rücken, über den ich zum Wanderweg absteigen kann. Puh, das war sehr anstrengend!
Jetzt aber los zur Kredarica-Hütte hoch! Der Weg ist für eine kurze Zeit gut belaufbar, bis er den Südfuss des Rjavec erreicht. Dort geht es auf einem ausgesetzten Band aufsteigend durch eine Felsflanke, die irgendwie gar nichts mehr mit meiner Karte zu tun hat. Drüben geht es über einen festen, aber immer noch steilen Moränenhang zur Planika-Hütte hoch. Alles verschlossen, sonst hätte ich dort übernachtet. Immerhin ist der Weg nun wieder gut belaufbar, und ich kurve über das weite Karstgelände hinunter. Sollte also nicht mehr lange dauern! Ausser es käme nochmals eine lange Felspassage, wie es natürlich sein muss. Langsam habe ich die Schnauze voll von Überraschungen und kämpfe mich mit Ingrimm die letzten knapp 200Hm übers einen letzten Geröllhang zur Hütte hoch. Glücklich vor der Polizeistunde angekommen erhalte ich sowohl etwas zu trinken als auch ein Einzelzimmer. Welch eine Wohltat!
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