Triglav — vor langer Zeit einmal gehört. Höchster Gipfel der Julischen, die bei uns auch nur wenig bekannt sind. Für den Spätherbst bin ich immer an Gebieten im Süden interessiert, wo die Verhältnisse noch länger warm und trocken sind. Und an neuen, “unbekannten” Gebieten. Die Gegend von Kranjska Gora ist ausserordentlich gut erreichbar und die Berge sind sehr gut zugänglich. Die technischen Schwierigkeiten sind moderat, und die Landschaft sehr grosszügig. Zudem ist die Gegend Anfangs Oktober ziemlich leer. “Splendid isolation!”
Planung
Wie üblich gestalten sich die Vorbereitungen mangels Informationen recht aufwändig. Hätte ich bloss rechtzeitig bei PizBube, DER Spezialbuchhandlung für alpine Literatur jedwelcher Art, reingeschaut! Dem steht jedoch meine “bewährte” Strategie entgegen, mich erst nach dem Geschehen nach Führerliteratur umzusehen. Nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen. Im Gegenteil, ist doch das Sortiment zu Slowenien schlicht beeindruckend, sogar deutlich (!) reichhaltiger als alles, was ich vor Ort vorgefunden habe.
So aber machte ich es mir recht einfach. Wo auf der Karte von OpenStreetMap (OSM) etwas Wegartiges einezeichnet ist, muss ein Durchkommen sein. Logischerweise ist dem prinzipiell nichts zu entgegnen. Bloss passte meine Zeitrechnung wieder einmal überhaupt nicht zur real existierenden Tageslänge. Das liegt hauptsächlich an der Art der Wege, die praktisch ausnahmslos vom Typ alpiner Bergwege sind, abschnittsweise unterbrochen durch mehr oder weniger anspruchsvolle Klettersteigpassagen.
Ganz und gar nicht bewusst war mir, dass OSM derartige Passagen bis mittleren Schwierigkeitsgrad offenbar unter der Kategorie der schwierigen alpinen Wege erfasst. Das führt zu manch einem Aha-Erlebnis und regelmässiger Bewunderung von Sonnenuntergängen und leuchtendem Sternenhimmel mitten im alpinen Gelände.
Ideal für die Planung wäre die Landkarte gewesen, welche mir ein slowenisches Paar zeigte. Dort sind die Wege mit Schwierigkeiten markiert. Blöd nur, dass ich mich nicht mehr erinnere, welche es war. Vielleicht Es gibt eine gute Landkarte mit den Klettersteigen und Schwierigkeiten
der Wege drauf. Vielleicht ist es die vom Kompass-Verlag? Vielleicht aber auch die vom Verlag freytag & berndt. (Oder so. Sorry!)
Ungefähr dieselbe Information findet sich auf der OSM-Karte von Hribi.net. Auf der Web-Site von hribi.net findet sich zudem recht detaillierte Information zu einzelnen Routen. Google-Translate macht’s möglich!.
Im gebirgigen Teil habe ich eigentlich keine Wege angetroffen, die richtig einfach zu belaufen wären. Das Terrain ist felsig, und damit ist der Wegverlauf meistens eindeutig vorgegeben. Zur Abwechslung gibt es Schotter oder manchmal eine karge Humusschicht mit saftigem Bewuchs. Glücklicherweise eher selten trifft man auf Karrenfelder, die von ganz übler Ausprägung sein können. Ohne eine sehr enge Markierung bestünde keine Chance, aufs Geratewohl einen vernünftigen Weg zu finden. Allgemein gilt es also bei der Planung mit eher langsamem Vorankommen zu rechnen. Bei guten Verhältnissen lässt sich immer noch die Gesamtdauer ausdehnen…
Überhaupt nicht angezeigt ist das Gebiet hingegen bei Nässe! Zwar habe ich es glücklicherweise nicht ausprobieren müssen, aber die steilen und hohen Flanken, durch welche die Pfade führen, erlauben keine Ausrutscher, und die Kombination von Nässe mit Humus verwandelt selbst die griffigsten Kalkplatte in eine Rutschbahn.
Hütten
Eine gute Übersicht bietet die Seite des slowenischen Alpenvereins. Die allermeisten Hütten schlossen 2023 am ersten Oktoberwochenende. Einzige Ausnahmen, die ich aufspüren konnte, waren die Tičarjev-Hütte am Vršič-Pass, die Triglav-Hütte Kredarici, die Komni-Hütte über dem Bohinjsko-See. Fürs folgende Wochenende öffnete dank guter Wetterprognose die Zorka Jelinčiča-Hütte südlich des Sees. Winterräume sind eher selten und genaue Informationen schwierig zu finden.
Eigentlich habe ich nur einen einzigen gefunden, und zwar genau dann und dort, wo ich ihn am meisten brauchte! Zu meiner freudigen Überraschung wies die Griva-Hütte (Pogačnikov dom na Kriških podih) zehn Schlafplätze mit Wolldecken im Nebengebäude über der Seilbahnstation auf. Wasser findet sich in den nahe gelegenen Seen. Das eigentlich angepeilte Biwak IV ist dem Vernehmen hingegen nur rudimentär ohne Matratzen eingerichtet.
Auf der Nordseite des Vršič-Passes liegen diverse Unterkünfte, von denen die meisten am ersten Oktoberwochenende geöffnet und gut besucht waren. Meine telefonischen Anfragen wurden jeweils sehr freundlich beantwortet, auch wenn ich mich nur auf Englisch verständigen konnte.
Material
Eigentliches Klettermaterial nur ein absolutes Minimum für Notfälle dabei (20 m Abseilleine, Bandschlinge, Escaper und zwei Karabiner), dazu noch das Klettersteig-Set mit zwei verschliessbaren Karabinern. Da ich mit Hütten- oder Biwakübernachtungen rechnete, hatte ich auch nur eine minimale Übernachtungsausrüstung dabei.
Als Schuh trug ich den stabilen Crossover. Einen leichteren Schuh hätte ich nicht haben wollen, insbesondere auch wegen der Gefahr von schlechtem Wetter. Da es Anfangs Herbst in der Höhe recht kühl sein kann, gehören warme Sachen natürlich ins Gepäck.
Reisen
Am liebsten reise ich im Zuge, und am allerliebsten mit dem Nachtzug. Komfortabler als eine direkte Verbindung Zürich ab 21:39 und Jesenice an 6:55 und retour ab Ljubljana mit Ankunft in Zürich kurz vor 9 Uhr kann es fast nicht werden. Zudem kostet der Schlafwagenplatz bei Railjet (ÖBB) nicht viel.
Der Bus nach Kranjska Gora fährt dann um 7:00, was schon bei der geringsten Verspätung zu knapp ist, aber um 8:00 fährt schon der nächste. Die Bushaltestelle befindet sich vis-à-vis des recht trostlosen Bahnhofgebäudes beim Mercator-Laden. Von dort kommt man nur mit Autostopp in die Nähe des Vršič-Passs, und an einem schönen Samstagmorgen musste ich nicht lange warten. Sogar am Abend, als ich schon in der Dunkelheit noch auf die Passhöhe hinauf wollte, wurde ich gleich mitgenommen.
Auf Südseite, hinten am Bohinjsko, fand ich schnell jemanden, der mich mitnahm. Eigentlich wollte ich nur bis zur Bahnstation in Bohinjska Bistrica, aber ein nettes Paar aus München nahm mich sogar bis Ljubljana mit. — In Erinnerung an frustrierende Stunden fruchtlosen Autostopps muss ich den Erfolg auf die netten Leute abschieben, denn ich selber habe mich kaum innert Kürze gewandelt. Anders als manch eine hübsche, weibliche Begleitung habe ich mich damit abgefunden am Strassenrand stehengelassen zu werden.
Sprache
Zum Glück sprechen die meisten Leute viel besser Englisch als ich Slowenisch! Es handelt sich um eine slawische Sprache und hat weder mit den germanischen noch den romanischen Sprachen viel gemeinsam. Ich gewöhne mich nur ungern an das Gefühl, nicht einmal über einen rudimentären Grundwortschatz zu verfügen. Mit etwas Übung habe ich jedoch eine stolze Handvoll an Ausdrücken gelernt. Am häufigsten verwendet man auf Touren den Gruss dober dan für “Guten Tag”, welcher oft auf ein simples dan eingekürzt wird. Daneben gibt es Abwandlungen für die die verschiedenen Tageszeiten, die ich mir nicht merken konnte, sodass ich das Ganze einfach auf dober abkürzte. Wichtig finde ich immer und überall danke und bitte, die hier hvala und prosim heissen.
Am Telefon melden sich die Hüttenwarte oft mit dem Namen der Hütte, gefolgt von “da prosim?“, also von “ja, bitte?”. Meine erste Frage lautete stets, ob sie Englisch sprechen – natürlich auf Englisch. Mich amüsiert die Standardphrase in allen touristischen Sprachführern, wo “ich spreche kein …” in der betreffenden Sprache aufgeführt ist. Dieser Satz ist ebenso wahr, wie er falsch ist, und schon Aristoteles hat sich mit solchen Paradoxa abgemüht.
(Aus-)Sprache
Vermutlich ist es nicht besonders schwierig, die Bergnamen richtig auszusprechen, aber ich kam mir trotzdem meistens recht blöd vor. Gelernt habe ich, dass die romanische “ka-ko-kü”-Regel keine Gültigkeit hat. Ein C ist und bleibt nichts Anderes als das. Sonst schreibt man ein K. Ausser es ist mit einem Hatschek verziert wie bei č, š und ž. Dann spricht man es als “tsch” oder “sch” aus. Soweit so einfach. Schwieriger wird es mit der Betonung der Silben. Skarlatica wird sicher nicht als “Skarlátika” ausgesprochen, sonder als “Skarlatíca”, und Triglav übrigens als “Triglau”. Viel Erfolg!
Etwas merkwürdig mutet aus heutiger Sicht an, dass viele Ortsnamen österreichischen Ursprungs sind — wenn auch der historische Hintergrund unter einem Meer von Schrecken versunken ist. Es genüge hier in Erinnerung zu rufen, dass die türkisblaue Soča ennet der Landesgrenze auf Italienisch Isonzo heisst. — Ich verwende hier die slowenischen Namen, wie auf meinen OSM-Landkarten verzeichnet.
Abschlusstest: Jesenice = “Jeseníce” (mit “c”, nicht “tsch”). Vršič = “Vrschitsch”, Kranjska Gora = “Krangska Gora” (wie bei den Fernsehübertragungen des Skiweltcups.
Übrigens wird Triglav als “Triglau” ausgesprochen. — Und noch etwas: “Okno” ist nicht etwa der Name eines lokalen Bergsportvereins, sonder heisst schlicht Fenster. Und von denen hat es einige …
Slowenischer Alpinismus
Bergwandern
Wenn es nicht mindestens einmal ein Kabel oder Eisenstifte braucht, kann man doch gleich eine Strasse hoch bauen, oder? So scheint das Grundprinzip der Julischen Bergwegebauer zu lauten. Nicht dass es besonders viele Bergstrassen geben würde, dafür aber sehr viele versicherte Passagen. Man lasse sich nicht vom flüchtigen Blick auf die Landkarte täuschen! Noch im scheinbar harmlosesten Abstieg lauert eine steile Passage, die ohne künstliche Mittel nur schwierig zu überwinden wäre. Oftmals sind sie gleich auch noch recht exponiert.
Zum Bergsträsschenprinzip passt übrigens auch, dass die typische Wegmarkierung aus einem Fahrverbotssignal besteht. Zusätzliche rote Striche markieren den genauen Verlauf, was im Karstgelände unschätzbar wertvoll ist. Dort gibt es hundert möglich Wege, und nur einer ist richtig. Auf allen anderen landet man entweder vor einer tiefen Doline oder mitten im Geröll. Letzteres macht den zweiten Aspekt der Wegführung aus. Die roten Striche führen deshalb oftmals über etwas steileren, dafür aber festen Fels, mag sich daneben im Geröll auch eine Spur gebildet haben. Die Wegmarkierer achten mit grosser Umsicht darauf, dass möglichst nie eine Passage durch eine darüberliegende gefährdet ist. Falls doch, sind solche Stellen auf ein absolutes Minimum beschränkt. Wenn ich jemals einen Bergweg planen müsste, würde ich einen slowenischen Experten zurate ziehen.
Die Absicherung ist überall perfekt. Nur am Triglav ist etwas gar viel Eisenzaun verbaut. Aber am Matterhorn hätte man auch mehr Publikum, wenn noch ein bisschen mehr Kabel verlegt wären. Ernsthaft: Der Berg ist bei guten Verhältnissen recht einfach zu begehen, wird jedoch bei einem Wetterwechsel mit Nässe und Wind schnell gefährlich. Deshalb ist es sicher angezeigt, den Weg gut abzusichern. In der Hochsaison herrscht sicher ein riesiger Andrang, wenn selbst Anfangs Oktober noch zahlreiche Gipfelaspiranten unterwegs waren. Umso mehr, als ein früherer Staatspräsident die Besteigung des höchsten Gipfels in Slowenien einmal zur nationalen Pflicht eines jeden Staatsbürgers erklärt hat. (Das ist einmal rechte Tourismusförderung!) Sowohl in den steileren Abschnitten als auch insbesondere auf dem langen Verbindungsrat vom kleinen Triglav zum Hauptgipfel hinüber besteht bei Gegenverkehr eine recht reale Absturzgefahr. Zu Sotsszeiten werden sich vermutlich viele denkwürdige Szenen ereignen.
Bergsteigen
Über die Geschichte des slowenischen Alpinismus wurden ganze Bücher geschrieben. Zugegebenermassen von den Akteuren selber, aber beim Anblick der enormen Kalkwände fiel mir mehrmals auf, wie wenig ich — und glaube, für eine Mehrheit der Schweizer zu sprechen — von der Entwicklung des Alpinismus in den Ostalpen weiss.
In Kombination mit dem unglaublich griffigen Gestein rufen diese Berge geradezu nach Kletterei! Allerdings sind die Felsen praktisch überall horizontal gebändert, weshalb kompakte Wände recht selten sind. Vielleicht erklärt dies das weitgehende Fehlen von moderner alpiner Sportkletterei in den grossen Wänden. Vielleicht spricht aber auch nur meine Ingoranz, jedoch habe ich selbst in einer grossen Buchhandlung nichts dergleichen gefunden. Im Führer von Mihelic und Zavan habe ich auf jeden Fall nur klassische Touren gefunden, wie die berühmte Aschenbrenner-Route (V-VI) aus dem Jahr 1934(!) in der immensen Nordwand des Travnik.
Auch ausserhalb der grossen Wände ist der Fels weitestgehend fest. Das Credo scheint zu lauten: “Alles hält immer.” Oder vielleicht ist auf den von mir begangenen Wegen auch einfach schon das gesamte Gerümpel ausgeräumt.
Winter
Von den Süd- und Ostalpen war mir die bekannt, dass viele Sommertouren auch im Winter durchgeführt werden, und dass daneben Steileisklettern betrieben wird, und es ist kein Rätsel, weshalb sich slowenische Bergsteiger auch weltweit erfolgreich betätigen. Von Skitouren hatte ich jedoch noch nie gehört, und so war ich überrascht zu entdecken, dass Skitouren sehr populär sind. Die Wirtin der Komni-Hütte sprach von drei Metern Schnee. Es gibt also auch im Winter neben Kranjska Gora noch mehr zu entdecken. Wer mehr wissen möchte, will vielleicht einen Blick in den Führer zum Skialpinismus in den Julischen Alpen werfen.